Gerhard Pušnik
Aus Anlass von ersten Rückmeldungen von Eltern, Lehrer*innen und Schüler*innen nach der ersten Woche Fernunterricht hier ein erster Versuch, die
Problemfelder zu sortieren.
In nur wenigen Tagen wurde der Wechsel von Schul- auf Homebetrieb vollzogen. Ohne Probelauf wurden die wesentlichen Prinzipien schulischen Lehrens und Lernens zu hundert Prozent auf die digitale
Schiene, auf Laptop und Smartphone, auf Office 365, Zoom, Skype o.ä. verlegt. Das Damoklesschwert einer drohenden Infizierung dürfte damit einen digitalen Lernschub bewirken, der unter normalen
Umständen auch mit einem verpflichtenden Informatikunterricht nicht hätte erreicht werden können.
In den Rückmeldungen wird mehrfach bestätigt: Die Schüler*innen machen überwiegend brav, begleitet von permanent anwesenden Lerncoaches, nämlich ihren Eltern, ihre Übungen und Arbeitsaufträge zur
Vertiefung schon durchgemachter Stoffgebiete. Einen Nebeneffekt dürfte diese Zwangsverbannung nach Hause doch haben. Die Schüler*innen scheinen unter den neuen Bedingungen die Arbeit ihrer
Lehrer*innen wieder schätzen zu lernen. Die Vorzüge der digitalen Welt scheinen sich auch zu relativieren: Es werden auch die Kehrseiten dieser ‚neuen’ Unterrichtsform wahrgenommen: es wird
Eigenverantwortung erwartet, es gibt Überforderungen und es fehlt den Schüler*innen vor allem der persönliche Kontakt mit ihren Lehrer*innen!
Wenn Schüler*innen und Lehrer*innen – wie es in der Schule einfach üblich ist bzw. war – gemeinsam in einem Raum zusammentreffen, dann entstehen im Idealfall Fragen und die Aufgabe der
Lehrer*innen ist es nun mal, auf Fragen von Schüler*innen Antworten geben zu können. Dieser ganz zentrale Wert schulischen Lernens fällt derzeit einfach flach. Einmal fehlt uns das persönliche
Zusammentreffen und – und das ist viel wesentlicher – wir haben keine Ahnung davon und keine Antworten darauf, was gerade mit uns und um uns herum passiert.
Bei dem Eifer, den nun alle an den Tag legen, sollten wir nicht vergessen darauf zu achten, dass die schwächeren Schüler*innen mit dieser Not-Unterrichtsform - sei es wegen fehlenden technischen
Voraussetzungen, mangelnder Selbstdisziplin oder zu wenig Unterstützung im Elternhaus - auf der Strecke bleiben. Die Gefahr ist akut: Je länger diese digitale Unterrichtsform weiterläuft, desto
stärker werden auch die sozialen Unterschiede zum Tragen kommen.
Klar wird aber auch schon nach dieser kurzen Zeit: Die Möglichkeiten des Online-Lehrens und Lernens sind für die einzelnen Fächer unterschiedlich. Für praktische Fächer sehr limitiert, für
Sprachen überhaupt nicht angemessen - das Sprachen sprechen kommt sicherlich zu kurz. Für Arbeitsanweisungen, sowie das Übermitteln von Übungen oder für Video-Besprechungen sind die digitalen
Plattformen gut geeignet. Die soziale und emotionale Seite der menschlichen Kommunikation hingegen fehlt. Mimik, Gestik, die Zwischentöne, das Spüren des Gegenübers als Mensch, der denkt, fühlt
und agiert, all dies fehlt und geht ab.
Die spezielle Situation der Maturant*innen wird noch nicht wirklich wahrgenommen und sollte doch bald thematisiert werden. Den Abschluss, die Anmeldung für ein Studium, die Vorbereitungen für
eine Aufnahmeprüfung oder einfach die Aussicht, die Welt, die nach der Matura offensteht, zu erobern – diese Perspektiven und Wunschvorstellungen wurden jäh unterbrochen.
Sonderbestimmungen, damit die Jugendlichen keine Nachteile erleiden oder gar ein Jahr verlieren, werden sicher bald erlassen.
Wir können davon ausgehen, dass eine Branche schon jetzt als Gewinnerin feststeht, nämlich die IT-Branche, Microsoft, Apple, Google & Co. In Zeiten der Krise und des Umbruchs wird vieles auch
unreflektiert gemacht und übernommen. So ist es naheliegend die Plattform Microsoft Office 365 für das geforderte Not-Unterrichtsprogramm zu verwenden, denn es ist ja an den österreichischen
Schulen schon implementiert und muss nur noch genützt werden. Die eventuell noch notwendigen Einschulungen werden von kundigen Kolleg*innen gleich auch selbst übernommen. Wie es mit dem
Datenschutz steht, wie vertrauenswürdig und zukunftsversprechend dieses Tool ist, welche Abhängigkeiten hier schon bestehen, das bleibt im Dunkeln. Wer redet da noch von der
Datenschutzgrundverordnung, mit der wir vor 2 Jahren verrückt gemacht wurden?
Die materiellen Rahmenbedingungen, die zur Verfügung stehende Wohnfläche, Stadt oder Land, Garten oder Balkon oder auch gar keine Freiluftfläche, das ist gerade in Zeiten von
Ausgangsbeschneidungen von zentraler Bedeutung. Was Erwachsenen allein schon schwer fällt, kann auch zu ernstzunehmenden familiären Krisen führen, wenn Kinder mit im Boot sind. Die fehlende
Trennung von „Privat“ und „Arbeit“ fällt möglicherweise irgendwann allen auf den Kopf. Für Kolleg*innen mit eigenen Vorschulkindern oder Kindern im schulpflichtigen Alter und einer
Lehrverpflichtung ist das auf Dauer kaum zu managen. Mancherorts sind auch jetzt zufällig anwesende Väter nicht immer die große Hilfe.
Wir sind damit beschäftigt, Normalbetrieb zu simulieren, uns mit den neuen Umständen zu arrangieren und uns einzurichten. Bald wird es wohl Widerstand gegen die forcierten Beschränkungen geben.
Arbeitslosigkeit, Betriebsschließungen, fehlende Zukunftsperspektiven werden zu heftigeren Auseinandersetzungen führen. Vielleicht wird es irgendwann wieder Schritte der „Normalisierung“ geben.
Eine Normalisierung, von der wir nicht wissen, wie diese dann aussehen wird. Für die Zeit nach der Corona-Krise, für den anstehenden „Normalisierungsprozess“ braucht es ein professionelles
Rückkehrmanagement, das die neue Eroberung der Schule in die Hand nimmt.