Wichtig und mutig oder entbehrlich?

Wichtig und mutig oder entbehrlich und wenig hilfreich?

 

Da scheiden sich die Geister, wenn es um Susanne Wiesingers Buch, Kulturkampf im Klassenzimmer geht. Wir als unabhängige LehrerInnenvertretung sehen erheblichen Handlungsbedarf möchten die prekäre Situation der österreichischen Pflichtschulen auch vorrangig behandelt sehen.

 

Vor diesem Hintergrund sollte uns die Veröffentlichung von Frau Wiesinger eigentlich freuen. Eigentlich. Tatsächlich ist es erfreulich, dass so viele sich für das Buch und damit für unsere Schulen interessieren. Tatsächlich ist es erfreulich, dass so viele Menschen einsehen, dass etwas getan werden muss. Nur was? Die Herausforderungen werden wir nicht abschaffen können. Auch nicht einzelne. Wir werden uns den Lösungen zuwenden müssen. Dazu möchten wir die Problemlagen aber etwas komplexer betrachten.

 

Wiesingers Bedürfnis über die Situation in ihrer Schule zu informieren ist verständlich, ist nachvollziehbar. Wenn sie von ihren SchülerInnen erzählt wird deutlich, dass es sich um Kinder aus sozioökonomisch schwächeren Familien handelt. Sie beschreibt, wie im Leben dieser Kinder ihre Religion eine immer größere Rolle spielt. Der Islam steht im Vordergrund, die Religion ist im Fokus der Autorin. Das ist legitim. Sie schildert ihre Erlebnisse in Wien Favoriten. Als Kollegin kann ich ihre Erfahrungsberichte mit großem Mitgefühl nachvollziehen. Dennoch: Meine Erfahrungen sind andere. Ich nehme weder in meiner Unterrichtsarbeit noch in Gesprächen mit KollegInnen aus den verschiedensten Regionen einen Kulturkampf wahr. Auch der Religion räume ich keine derartig große ursächliche Bedeutung für unsere Arbeit in der Schule ein. In den allermeisten Fällen wollen Familien, dass ihre Kinder in der Schule erfolgreich sind – ungeachtet ihrer Religion. Zugegeben: Gläubige Muslime leben einen anderen Jahresablauf und haben andere religiöse Werte als gläubige Katholiken. Diese Unterschiede werden in der Schule auch sichtbar. Manche Einzelheiten, die Frau Wiesinger beschreibt, kenne ich auch aus Schilderungen von KollegInnen. Viele Perspektiven fehlen aber auch im Buch. Man muss ebenso wie bei allen anderen jugendlichen Spleens, mit denen wir als PflichtschullehrerInnen konfrontiert werden, den Einzelfall betrachten. In der Sek 1 ist Pubertät. Ein Mädchen kommt auf einmal mit Kopftuch? Vorschrift der konservativ muslimischen Eltern? Weit gefehlt. Die Eltern wollen das Kopftuch überhaupt nicht für ihre Tochter. Da fragt man nach und kommt langsam in einen Dialog. Das darf nicht in einer Pauschalisierung untergehen. Das Gespräch darf nicht wegen Überlastung der PädagogInnen oder aus Zeitmangel unterbleiben. Jugendliche haben das Recht sich zu entwickeln. Alle. Der Wiener Politologe Rami Ali hat dazu einen höchst lesenswerten und berührenden Standard-Kommentar geschrieben, in dem er uns sehr viel über seine eigene Schulkarriere anvertraut.

 

Mit der Zeit wird tatsächlich bekannt, dass die Herausforderungen an den Pflichtschulen immer mehr und immer vielfältiger werden. Die Anforderungen und Erwartungen an uns LehrerInnen wachsen. Gleichzeitig werden wir kaum bei den wachsenden Aufgaben unterstützt. Manche Mittel werden sogar weniger. In anderen Berufszweigen wäre das undenkbar. Man stelle sich vor ein Tischler würde mit einer deutlich erweiterten und hochkomplexen Auftragslage konfrontiert und müsste parallel dazu auf einen Teil seiner Werkzeuge verzichten! Undenkbar! Unsere Werkzeuge sind Räume und Ressourcen für zusätzliche Fachkräfte an den Schulen. Seit Jahren versuchen wir gewerkschaftliche MitstreiterInnen und politisch Verantwortliche davon zu überzeugen, dass die prekäre Lage der Pflichtschulen publik gemacht gehört und den Forderungen für den APS- Bereich entsprechende Priorität eingeräumt werden muss.

 

Wiesingers Fokus aber ist die Religion. Die ist in vielen Fällen aber nur die Oberfläche. Die Konzentration auf den Islam trifft die Problematik nicht ausreichend und lässt uns zu wenig Spielraum für Lösungsansätze. Dieser Blickwinkel ist zu eng, wie auch Karin Gangl in ihrem Kommentar zum Buch sehr anschaulich darlegt. Die Herausforderungen ergeben sich vielmehr aus den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder. Es ist die Vielfältigkeit, die uns fordert. An unterschiedlichen Standorten mit anderen Schwerpunkten. Wir haben autochthone, zugewanderte, finanziell gut gestellte, wirtschaftlich schwache, hochintelligente, beim Lernen förderbedürftige, sozial angepasste, extrem aktive, sozial und emotional oder körperlich beeinträchtigte Kinder, ... Sie fordern uns zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedliche Weise. Oft können wir als LehrerInnen so agieren, dass Krisen überwunden und Erfolge erreichbar werden. Manchmal wissen wir selber nicht weiter. Häufig jedoch wissen wir was zu tun wäre, können es aber nicht tun, weil das Personal oder der Raum fehlt.

 

Und Personal soll hier heißen: Fachkräfte, die an den Schulen sind. Vereinzelt haben wahrscheinlich alle PflichtschulehrerInnen das schon erlebt: dass ein Kind mit großen Problemen gut mit Ressourcen (bezahlte Stunden für ausgebildete Personen die fördern und betreuen) ausgestattet ist. Das geht ganz hervorragend. Wir brauchen diese PädagogInnen/PsychagogInnen/PsychologInnen/SozialarbeiterInnen und den zusätzlichen Raum, damit SchülerInnen in einer eskalierten Situation adäquat betreut werden können. Manches kann eine Lehrperson alleine nicht organisieren. Das gilt nicht ausschließlich für Brennpunktschulen. Mir sind Standorte außerhalb von Ballungsräumen bekannt, wo die LehrerInnen vereinbart haben sich gegenseitig in ihrer Freizeit zu unterstützen. Dass das kein zukunftstaugliches Modell sein kann, liegt auf der Hand. Das müssen bezahlte Stunden sein, die auch eine gewisse Kontinuität und damit eine Auseinandersetzung auf der Beziehungsebene zulassen. Es tut der Debatte um die österreichischen Pflichtschulen nicht gut, wenn wir uns auf religiöse Unterschiede fixieren. Das Thema ist komplexer.

 

Wir halten daher einen breiteren Blickwinkel bei dieser Thematik für hilfreicher. Die Religion im Vordergrund birgt aus unserer Sicht sogar Gefahren. Leicht könnte man dabei in ein WIR-UND-DIE-ANDEREN-Denken geraten. Das ist zu vermeiden. Kinder mit islamischem Hintergrund auf alle Schulen aufteilen? Warum Muslime? Das fragt zurecht auch Niki Glattauer im Kurierinterview. Helfen würden gemischte Schulklassen, eine gemeinsame Schule. Natürlich. Unter anderem. Dann kommen naturgemäß viele PflichtschullehrerInnen zu den gleichen oder ähnliche Schlüssen:

 

- Gemeinsame Schule

 

- Ganztägige schulische Betreuung nach Bedarf

 

- Ausreichende bedarfsorientierte Ressourcenzuweisung

 

- Ethikunterricht neben dem konfessionellen Religionsunterricht für alle Kinder

 

Renate Brunnbauer, September 2018

 

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